SEXARBEIT IN DER UKRAINE

. Sexarbeit ist in der Ukraine kriminalisiert. Nach dem ukrainischen Gesetz wird Sexarbeit entweder mit einer Verwarnung oder einer Geldstrafe geahndet. In der Ukraine hat der Staat ein Mindesteinkommen für alle Personen festgelegt. Geldstrafen, Renten und Sozialleistungen werden auf Grundlage dieses Betrags berechnet.

Die Geldstrafe für Sexarbeit in der Ukraine beträgt das 5- bis 10-fache des Mindesteinkommens der Bürger*innen, und wenn eine Person zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres bei der Sexarbeit erwischt wird, beträgt die Geldstrafe das 8- bis 15-fache des Mindesteinkommens der Bürger*innen. Der Hohn: Der Kauf von sexuellen Dienstleistungen ist jedoch nicht verboten.

Flucht ins Ungewisse

Sexarbeit in der Ukraine ist also illegal, aber dadurch, dass der Kauf nicht geahndet wird, ist sie weit verbreitet und wird von der Regierung weitgehend ignoriert. Zuletzt Zeit hat sich die Ukraine zu einem beliebten Ziel für den Sexhandel entwickelt. Die Ukraine ist ein Herkunfts-, Transit- und Zielland für Frauen und Kinder, die zum Zwecke der kommerziellen sexuellen Ausbeutung grenzüberschreitend gehandelt werden.

Gesetze, die die organisierte Prostitution unter Strafe stellen, und Strafen für Menschenhandel haben wenig Wirkung gezeigt, da viele verurteilte Menschenhändler am Ende keine Haftstrafe verbüßen müssen. Der Krieg in der Ukraine hat das Land verwundbar gemacht. Viele ukrainische Frauen sind ohne Arbeit, Hab und Gut oder Hilfe und so sind viele gezwungen, sich auf Prostitution und Menschenhandel als Einkommensquelle einzulassen. Stark betroffen sind also vor allem Sexworker*innen, die bereits vorher mit Stigma, Strafe und Verfolgung zu kämpfen hatten. Sie flüchten nun in fremde Länder und sind dort Menschenhändlern und dubiosen Jobangeboten ausgeliefert.

Seit Februar herrscht Krieg in der Ukraine und Menschen fliehen aus ihrer Heimat. Familien lassen ihr zuhause und ihre Verwandten hinter sich und nehmen nur das Nötigste mit. Wir haben mit einer Sexworkerin gesprochen, die sich bereit erklärt hat, uns einen Einblick in die schlimme Lage zu geben. Sophie ist seit einiger Zeit schon in Deutschland und hat noch viele Kontakte in die Ukraine; auch Kolleg*innen, mit denen sie in der Ukraine zusammengearbeitet hat.

Exklusives Interview mit einer ukrainischen Escort

Hallo Sophie, danke, dass Du Dich bereit erklärt hast, mit uns über die momentane Situation zu sprechen und was für einen Einfluss das auf Dein Leben und Deine Arbeit bislang gehabt hat. Wie lange bist Du schon Sexworkerin und seit wann bist Du in Deutschland?

Sophie: Ich bin jetzt seit etwa 6 Jahren in der Branche tätig. Im ersten Jahr rechnete ich jedoch damit, dass jeden Moment etwas Schlimmes passieren würde – dass ich Ärger mit der Polizei bekomme oder meine Eltern mich rauswerfen würden… Also traf ich nur ein paar Kunden pro Monat. Ich kam zwei Wochen nach Beginn des Krieges nach Deutschland, also um den 11. März herum. Das ist jetzt also fast 4 Monate her.

Wie war der Weg hierher für Dich? Hast Du es leicht gehabt hier Fuß zu fassen?

Sophie: Zunächst einmal musste ich mich an Freiwillige in Polen wenden, sie waren sehr hilfsbereit, und so ließ ich mich von polnischen Freunden aus einem Flüchtlingslager mitnehmen. So war ich nach einigen Tagen endlich in Warschau.

Das war damals eine ziemliche Herausforderung, nach Berlin zu kommen, denn alle Flüchtlinge wurden nach Hannover transportiert. Es war nicht erlaubt, in Berlin anzuhalten und uns aussteigen zu lassen. Ich hatte also einen großen Umweg.

Hier halfen mir meine Freunde (meine Psychotherapeutin würde darauf bestehen, sie Klienten zu nennen) am Anfang mit einer Unterkunft und dem Registrierungsprozess. Ich hatte eine Menge bürokratischer Abenteuer. Mein Leben ist immer noch nicht stabil, ich habe nicht wirklich eine feste Bleibe. Außerdem würde ich gerne versuchen, für Agenturen, Stripclubs oder Bordelle zu arbeiten, um zu sehen, was besser für mich ist. Ich bin auch an Pornos interessiert.

Kannst Du uns kurz in Deinen eigenen Worten erklären, wie die Situation momentan für Dich ist und vor allem für die Sexworker*innen, die noch vor Ort sind?

Sophie: Ich komme aus der Westukraine, habe also nur wirtschaftliche Verluste. Mein Geld war größtenteils in Bargeld in ukrainischer Währung und das ist jetzt ziemlich wertlos. Ich habe es meinen Eltern hinterlassen. Sie arbeiten nicht und können es eventuell brauchen.

Seit Beginn des Krieges herrscht dort Ausgangssperre, sodass es unmöglich war, in der Nacht zu arbeiten. Wir hatten jede Menge Fliegeralarm, und jedes Mal fühlte es sich so an, als würde man jetzt sterben müssen. Für mich war es also nicht wirklich die Bombardierung, sondern die Erwartung, auf die eine oder andere Weise getötet zu werden, die mich dazu brachte, das Land zu verlassen. Ich war nicht bereit für den Krieg, ich konnte mich nicht schützen, und es gab niemanden, der sich um mich gekümmert hätte, wenn es wirklich hart auf hart gekommen wäre.

In dieser Situation konnte ich mir vorstellen, nur mit jemandem Sex zu haben, der mit einer Waffe umzugehen wusste und bereit gewesen wäre, mich zu beschützen. Ich schätze, das ist einfach die instinktive Reaktion auf den Stress und die Hilflosigkeit. Alle anderen möglichen Sexpartner waren in dieser Lage für mich uninteressant, was ein logisches Verhalten zu sein scheint. Kein Geld oder andere Mittel können eine Frau davor schützen, vergewaltigt oder getötet zu werden. Und ich hatte nicht das Gefühl, dass ich mich hätte schützen können.

Wie ist die Situation für Sexworker*innen, die flüchten und versuchen, woanders Fuß zu fassen. Hast Du oder Kollegen*innen damit auch Erfahrungen gemacht?

Sophie: Ich habe keine stabile Bindung zu anderen Sexarbeitern aufgebaut. In der Ukraine verbergen sie alle möglichen Informationen voreinander, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Ich hatte eine Freundin, die jetzt in Frankreich lebt und viel nach Dubai reist, aber wir haben nie offen über ihre Arbeit gesprochen. Meine frühere Sexworker-Partnerin brachte mich vor dem Krieg in gefährliche Situationen, sodass ich aus Sorge um meine eigene Sicherheit nie wieder Kontakt zu ihr aufnahm.

Eine andere Escort, mit der ich zusammengearbeitet hatte, geriet vor dem Krieg in Schwierigkeiten mit der Polizei, und die Person, die für sie Kunden suchte, warnte mich, keinen Kontakt mehr zu ihr aufzunehmen, da sie von der Polizei beobachtet wurde. Ein anderes Mädchen verschwand fast ein Jahr vor dem Krieg spurlos. Ich hoffe, es geht ihr gut. Andere bekamen Familien und hörten auf, zu arbeiten oder zogen vor dem Krieg ins Ausland. Eine Stripperin aus meinem Club sucht gerade nach einer Möglichkeit, in Europa zu arbeiten, aber ohne Sex.

Viele Frauen sind momentan Opfer von Menschenhandel und Ausbeutung in der Sex-Industrie. Was kann man machen, um zu helfen?

Sophie: Diese Frauen müssen verstehen, dass sie in Europa legal und unter viel besseren Bedingungen arbeiten können. Ich schätze, die meisten Frauen, die dem Krieg entkommen sind, würden lieber als Sex-Sklavinnen zu Hause von solchen benutzt werden, die ihnen „helfen“, als gegen ihren Willen zur Prostitution gezwungen zu werden, obwohl die Sklaverei zu Hause sicher keine gute Lösung ist…vor allem dann nicht, wenn die Frau dazu genötigt ist, mit Sex und anderen Diensten für die „Hilfe“ zu bezahlen. Und wenn man finanziell von einem Mann abhängig wird, können die Dinge wirklich hässlich werden. Außerdem wissen die Frauen vielleicht nicht, dass jemand tatsächlich helfen könnte!

Genauso wie ich keine Ahnung von der Organisation hatte, die Sexarbeiterinnen in der Ukraine hilft. Ich denke also, das Wichtigste ist, Informationen in ukrainischer Sprache weiterzugeben. Wenn die Person kein Telefon hat, wäre es gut, wenn potenzielle Kunden auch wüssten, wie man der Sexarbeiterin helfen kann und wo sie für sie anrufen können. Früher oder später wird ein deutscher Kunde hier auf so jemanden treffen, aber er müsste schnell genug reagieren. Ich denke, in Deutschland sollte es effektiv sein, die Polizei zu rufen.

Zu Guter Letzt die Frage, ob Du Dir vorstellen kannst, dass Du irgendwann wieder in die Ukraine möchtest oder ob Du Deutschland auch in Zukunft als Deine Wahlheimat siehst?

Sophie: Ich komme aus der Westukraine und war schon einmal während des Krieges wieder dort. Es ist ein relativ sicherer Teil des Landes. Vor dem Krieg hatte ich vor, dort eine Wohnung zu kaufen, aber leider habe ich das nicht geschafft und muss jetzt mein Geld neu verdienen. Meine ganze Familie ist noch dort, also werde ich regelmäßig hinreisen. Leider sehe ich keine Möglichkeit, während des Krieges in meiner Stadt zu arbeiten. Nach dem Krieg kann ich eventuell zurückkehren.

Vor allem, wenn man bedenkt, dass das Leben in Deutschland immer noch viel teurer ist und ich nicht ewig in der Sexarbeit arbeiten will. Ich habe nach Programmen gesucht, um in Deutschland zu studieren, aber bisher bin ich eher im Überlebensmodus und verbringe meine Zeit lieber damit, Kunden zu suchen. Ich habe also im Moment keine wirklichen Pläne für die Zukunft. Ich versuche nur, eine finanzielle Stabilität zu erreichen und mehr Freunde zu finden, um sich gegenseitig zu unterstützen.

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